Manchmal hat einen der Alltag fest im Griff. Deshalb kommt die Montagmorgen-Geschichte in dieser Woche an einem Mittwoch. Eigentlich sind Wochentag und Uhrzeit egal. Wichtig ist, sich daran zu erinnern: Schaut auf die kleinen Dinge im Alltag – und freut euch. Es gibt so viel zu entdecken. In der Berliner U-Bahn kannste Leute kieken.
Über der Treppe von der U7 hoch zur U8 blinkt auf der elektronischen Anzeigetafel die Fahrtrichtung „Wittenau“. Ich nehme immer zwei Stufen auf einmal. Gleich kommt die Bahn. DENKSTE! Auch hier blinkt die elektronische Anzeigetafel, allerdings steht dort nicht „Wittenau“. Sie schleudert mir ein höhnisches „Zugverspätung“ entgegen. Na dit jeht ja jut los, heute!
Check mal nebenan
Viele Leute mit Fahrrädern warten, dabei regnet es doch gar nicht. Während ich darüber nachdenke, fällt mein Blick auf meinen Nebenmann: ein junger Mann mit einem klapprigen Damenrad der Marke Hercules mit Torpedo 3-Gang-Schaltung. Sicher gebraucht gekauft bei Ebay-Kleinanzeigen, Stichwort: „Vintage“, „Oldschool“. Mit umwickeltem Lenker. Das Fahrrad ist nicht gut in Schuss. Aber das macht es noch schicker.
Zu einem schicken Fahrrad gehört natürlich auch ein schicker Pedaleur. Or should I say: cyclist? Wir befinden uns in Nordneukölln. Ich erblicke schwarze Nikes, freie Knöchel, hochgekrempelte schwarze Jeans, schwarz-rotes Karo-Hemd. Ahnt ihr etwas? Vollbart, Kopfhörer und – Sonnenbrille. Am Morgen in der U-Bahn. Allet klar! Hip, Hip, hurra, ein Hipster ist da! Ein bisschen sieht er aus wie der junge Lenny Kravitz.
U-Bahn in Berlin: It’s Show-Time!
Die U-Bahn kommt dann doch und es ist einer dieser durchgehenden Züge. Hipster Lenny stellt das Damenrad quer in die Bahn. Ja, so ein Fahrrad muss gut in Szene gesetzt werden. Ist doch klar, dass alle, drumherum laufen können. Statt es festzuhalten, setzt er sich auf den Sattel. Der Lenker bohrt sich einer Frau fast in die Brust. Hipster Lenny stört das nicht. Er braucht beide Hände um eine Zigarette zu drehen.
Das ist nicht einfach auf einem klapprigen Damenrad und mit einer Sonnenbrille auf. Aber er bleibt cool. Mensch dem fällt glei ’n Ei aus da Hose, denke ich bei mir. Nach zwei Stationen hat er es immer noch nicht geschafft. Die U-Bahn rumpelt durch den Tunnel und in eine scharfe Kurve. Meine Neugierde ist geweckt. Wat fummelt der denn da rum? Junge, hastet bald? Ich möchte ihm sagen: Komm, gib her. Lass Mutti mal machen.
Am Moritzplatz steigen wir beide aus. Die krumme kleine Papierwurst, aus deren Enden viel Tabak hängt, hat er lässig hinter ein Ohr geklemmt. Sehr lässig. Ich wünschte, ich könnte jetzt auch ein bisschen höhnisch blinken wie ein elektronischer Fahrtanzeiger: „Zigarettendrehverspätung“. Nicht notwendig. Die Selbstgedrehte fällt herunter, rollt über den Bahnsteig und ins Gleisbett …tja.
Da war die janze Mühe umsonst!