In meiner Vorstellung muss er Wolfgang heißen. Oder Heinz. Er ist Mitte sechzig, Halbglatze und über seinem Bauch spannt das graumelierte ärmellose T-Shirt etwas. Dazu kombiniert er eine etwas ausgeleierte wild gemusterte Radlerhose. Nothing fancy.
Er sieht aus wie der Typ ältlicher Mallorca-Touri. Socken und Sandalen trägt er nicht. Er steht am Rand des Pools im Fitnessstudio und er ist der Trainer. Es läuft: Aquafit. Das Becken ist voll. Heinz schreitet auf und ab. Heinz ist der Burner. Seine Musikauswahl unschlagbar.
Eben flirrte ein Sirtaki durch die Schwimmhalle, jetzt dröhnt Marmor, Stein und Eisen bricht aus der Box. Die Kombi spielt er jedes Wochenende … damm, damm. Etwa 50 mehrheitlich weibliche Teilnehmende hüpfen auf der Stelle und schwenken begeistert Poolnudeln über ihren Köpfen. Links, rechts, links, rechts. Heinz hat den Move einmal kurz angedeutet, mehr braucht es nicht. Jetzt wippt er lässig mit dem Kopf mit. Der Refrain ist dran … aber unsere Liebe nicht … Die einhundert Arme winken in der Luft wie bei einem Rockkonzert. Heinz ist on stage. Damm, damm.
Die Sache ist ein Selbstläufer, die Stimmung grandios… alles, alles geht vorbei … ja, auch dieser Kurs. Wir sind kurz vor dem Finale, denn am Ende hat der Song eine ordentliche Temposteigerung. Das Bedeutet für die Damen im Wasser noch mal richtig Vollgas … Marmor, Stein und Eisen bricht … jetzt alle, ruft Heinz in die Menge. Der Pool kocht. Die Damen hüpfen, winken, hüpfen immer schneller im Takt. Stürmisch. Glücklich. Heinz headbangt. Willkommen in der Aqua-Aerobic-Hölle, die Wassertemperatur steigt locker um fünf Grad … doch wir sind uns treu.
Das Wasser schwabbt hin und her und über die geschminkten Gesichter einiger Teilnehmerinnen, die absurderweise bemüht sind, obenrum trocken zu bleiben. Schließlich könnte die einmal in der Woche beim Coiffeur frisch einbetonierte Frisur Schaden nehmen. Übrigens auch durch Duschwasser. Ich schwöre, die Wasserqualität im Becken ist nach so einer Heinz-heizt-ein-Nummer bedenklich. Warum fallen mir Bilder von silbrig glänzenden Fischkadavern ein, die an der Oberfläche der Oder schwimmen? Egal, die Konzentration an Mikroplastik dürfte enorm sein. Dazu Duftstoffe und Emulgatoren, Glitzerpartikel und was weiß ich was.
Direkt nach einem vollbesuchten Aquafit-Kurs ist das Becken schön leer. Manchmal bin ich ganz mutig und ziehe dann meine Bahnen. Dabei achte ich penibel auf den korrekten Sitz meiner Schwimmbrille, drücke noch einmal mit den Handinnenflächen kräftig auf beide Gläser, bis die Brille sich schmerzhaft fest um meine Augen saugt. Dass ich deshalb nach dem Training noch stundenlang aussehe, wie ein bekiffter Waschbär, nehme ich in Kauf. Luftholen. Abtauchen. Abstoßen. Langsam gleite ich durch den Schmutzfilm. Unter Wasser ist es still. Ich mag das, diese Ruhe … nur in meinem Kopf pocht ein leises damm, damm … damm, damm.