Da liege ich nun mutterseelenallein auf der obersten Saunabank. Luxus. Die Tür geht auf. Ich bekomme Gesellschaft. So what. Ich lasse die Augen geschlossen. Es ist heiß. Jetzt sind wir zu zweit.
Der Jahresanfang ist die Zeit für viele neue Begegnungen. Ob man will oder nicht. Besonders im Sportstudio und – das lässt sich nicht vermeiden – auch in der dazugehörigen Sauna. Obwohl, auf nackte Unbekannte zu treffen ist durchaus angenehmer, als auf das freundliche Gesicht und den unverhüllten Rest der Mathelehrerin der Kinder neben einem unter der Dusche. Diese spontane Blöße ist schon irritierend.
Ich höre ein Schnaufen. Ein Seufzen. Wieder Schnaufen. Schwere Atmung. Was ist hier los? Hat sich ein Typ in die Damensauna verirrt? Sorry, Jungs, aber was ihr manchmal für Töne von euch gebt. Den Unhold würde ich sofort eigenhändig entfernen. Aber nein, so ist es nicht, stelle ich mit einem kurzen Seitenblick fest. Augen wieder zu.
Ick gloob, ick hör nich richtig!
Ich höre ein Schmatzen. Ein Flutschen. Wieder Schmatzen. Das kann ich zuordnen. Die bloßen Hände reiben über die schweißnasse Haut. Das flotte Hin und Her ist natürlich anstrengend. Bei der Hitze. Da kommt man direkt wieder ins Schnaufen. Ein bisschen nervt die Geräuschkulisse jetzt schon. Die Finnen sagen, in der Sauna soll man sich respektvoll verhalten wie in einer Kirche. Gilt das auch für Töne?
Schnauf. Schmatz. Schnauf. Na, wird schon wieder aufhören, versuche ich mich innerlich zu beruhigen. DENKSTE! Jetzt geht’s erst richtig los!
Ich höre ein Schaben. Ein Kratzen. Wieder Schaben. Kehlige Laute durchdringen die feuchte heiße Luft. Na was geht denn jetzt? Augen wieder auf. Ich sehe, wie bloße Fingernägel über Arme, Bauch, Rücken, Oberschenkel, Unterschenkel und wieder zurück schrubben. Oha! Das muss doch wehtun. Irgendwann ist alles durchgekratzt. Augen wieder zu.
Im Schweinsgalopp in die Kindheit
Noch mal von vorne. Die Hand glitscht, die Nägel kratzen. Schmatz. Schrubb. Schmatz. Schrubb. Kratz. Ich denke: seufz. Und dann kommt der göttliche Moment, eine Eingebung, es kommt einfach so und lässt sich nicht mehr wegschieben: Vor meinem inneren Auge erscheint das Bild einer zottigen, fetten Wildsau.
So eine Sau, die genervten Gartenbesitzern im Südwesten der Stadt den Rasen umpflügt. Schmatz. Tonnenweise Eicheln frisst. Grunz. Der dicke Schweinerüssel wühlt herum. Schnauf. Zentimeter für Zentimeter durch das Erdreich. Schab. Die dicken Backenzähne zermalmen genüsslich Kastanien, Eicheln, alles wird weggeputzt. Die Wildsau ist nicht wählerisch. Sie kaut. Sie kratzt. Sie schlürft. Sie schmatzt.
Beeindruckend. In der 3. Klasse fuhr ich auf Klassenfahrt in den Grunewald. Die Wildschweine dort waren legendär. Jedenfalls boten sie Stoff für abenteuerliche Geschichten, die wir Schüler uns in großer Vorfreude auf die angekündigte Nachtwanderung erzählten. So kam es, dass reihenweise Kinder nachts im Wald hinter Holzstapeln laute Nasalgeräusche ausstießen und durch plötzliches Hervorspringen die anderen erschreckten. Schock des Lebens.
Überraschung!
Mein imaginäres Borstenvieh ist wirklich ein prächtiges Exemplar. Locker hundert Kilo schwer. Ah, Jägers Delight. Struppig. Groß. Anlegen und zielen … Nein. Nein. Ich schieße keine Tiere. Schon gar nicht in der Sauna. Ohne Unterlass rüsselt sich die Sau durch die Erde. Krrrz. Krrrz. Die Hauer sind von einer unfassbaren Größe. Guiness-Wildsau-Record. Das dumpfe gleichmäßige Kaugeräusch wirkt bedrohlich, versetzt mich aber in eine Art Trance.
Wieder geht es zurück in die Kindheit. „Juckt’s? Waschen hülft!“ Ich muss an Onkel Willi denken. Immer einen flotten Spruch auf den Lippen. Nichts blieb unkommentiert. Aber nun gut, wir sind ja in der Sauna. An mangelnder Körperhygiene kann es nicht liegen. Ich lächle. Augen wieder auf. Die Sanduhr an der Wand zeigt an: Seit sieben Minuten wird neben mir geschnauft, geschrubbt, gekratzt, gerüsselt und gegrunzt. Saustark.
Ein leichter Luftzug berührt meine Haut. Die zierliche Frau schwingt ein weißes Handtuch um ihren Körper. Sie verlässt die Sauna. Ruhe. Ich bin wieder allein.