Die Schulter schmerzt, der Arzt verordnet Physiotherapie. Na denn. Auf geht’s in die heiligen Hallen der Bewegungsgurus. In der Hoffnung auf heilende Hände sitze ich in einer kleinen Kabine. Zur Nachbarkabine hin ist nur ein Stück Stoff.
Sie haben sich wenigstens Mühe gegeben. Ich betrachte die zarten hellblauen Schrägstreifen auf cremefarbenem Grund. Hübsch. Aber ein Stoff ist ein Stoff und keine Wand. Diskretion bezüglich Diagnose, Krankenverlauf und sonstiger persönlicher Angelegenheiten: Fehlanzeige.
„Na, Frau Schulze“, tönt es aus der Nachbarkabine streng. „Haben Sie wieder gestrickt!?“ What? Was hat sie? Was geht den da ab? Mein Gehirn braucht einen Moment, um die Information zu verarbeiten. Ach so, es geht um das herstellen textiler Maschengebilde. Dennoch wächst mein linkes Ohr auf Kohlblattgröße, was total unnötig ist, da ich eh jedes Wort verstehen kann.
Frau Schulze weeß, wi’et jeht!
„Jaaahaa …“. Erstaunlich viel Reue passt in ein so kurzes Wort. „Aber nur eine Viertelstunde. Janz langsam.“ Auweia! Die Frau Schulze! Dit is ja ´n schlümmer Finger! „Ach, Sie wissen doch, dass das nicht gut ist“, setzt die strenge Stimme nun etwas fürsorglicher nach. Frau Schulze verteidigt sich: „Ja, aber dit musste ja fertich wer’n.„
„Und nun ist ihr Schultergürtel wieder ganz fest.“ Pause. „Ja, ick dachte, ach Mensch, dit is doch nich so schlümm. Nur een bissken. Mal fünfe jerade sein lassen …“ Woher kommt der Spruch eigentlich? Welche Fünfe? Die Finger einer Hand? Gerade? Wie Stricknadeln vielleicht? Passt so schön ins Handarbeitsbild. Nebenan wird es konkreter.
Frau Schulze ist jetzt in Stimmung: „Wissen Se, meine Tochter hat mir jetzt so´n Buch jeschenkt. Sie hat jesacht, Mutti, du musst nicht immer allet so eng sehen. Dit is echt ´nen tollet Buch. Dit heißt FACKIT.“
Pause.
„Kenn Se dit? FACKIT. Dit is englisch und heißt so ville wie Scheiß druff. Und jetzt denk ick, halt: ach, FACKIT. Wenn de jerade mit een Fuß uffn Damm bist und de Ampel wird rot … FACKIT! Jehste weiter. Verstehn Se? Also, dieset FACKIT, dit is echt jut.“
Einfach mal locker lassen!
In der Zwischenzeit ist auch mein Schultergürtel verspannt. Der Nacken. Und die Kiefermuskulatur. Die Backenzähne maximal im Anschlag, spüre ich, wie das Lachen aufsteigt und in meinem Mund schäumt wie ein Tüte Ahoi-Brausepulver. Die Nasenflügel beben. Contenance.
Der Vorhang fliegt zur Seite. „Boah, machen Sie sich mal ein bisschen locker“, raunzt Physiotherapeutin Ramona mich an und schaut mir fest in die Augen. „Aber zehn Minuten is ok?“ höre ich Frau Schulze nebenan flehen. Jawoll! Fight for your right! Aber die strenge Stimme macht alle Hoffnung zunichte: „Nee, nee, jetzt wird erst mal nicht gestrickt!“ Eine Hand drückt fest auf meinen Oberarm.
Aus. Ich pruste los und falle fast vom Stuhl. Ach tut das gut. Einfach mal locker lassen! Ramona sieht mich verwundert an.
FUCK IT!