Tüte am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen

U-Bahnhof Kottbusser Tor Blick durch die Bahnhofsfenster auf Hochhaus

Das Wort Tüte und ein Bild vom Kotti – ich weiß was ihr denkt. Na dann ist ja alles klar! Manchmal sind die Dinge ander, ganz anders. Glaubst du nicht? Finde es heraus und starte mit einem Lächeln in den Montagmorgen.

Machen wir es kurz: Nein, es ist kein Joint gemeint. Sondern eine stinknormale Tüte aus Plastik. Leicht flatternd, orangerot, vom Gemüsehändler um die Ecke. Wir Auf-dem-Weg-Zur-Arbeit-Menschen fahren die Rolltreppe zum Bahnsteig der U1 hoch. Ein Windstoß wirbelt die leere Tüte auf. Hoch in die Luft. Sie knistert und flattert. Ein tanzender Feuerfunken in XXL. Dann schwebt sie herab. Verfängt sich am Fuß der jungen Frau vor mir. Vier Rolltreppenstufen trennen uns. Was wird die Frau tun, frage ich mich.

Schafft sie es, die Tüte los zu werden?

Sie schüttelt das Bein, versucht den unwillkommenen Anhang los zu werden. Die Tüte ist hartnäckig und klebt an ihrem Unterschenkel. Wie ein Zweijähriges umklammert sie das Bein. Fehlt noch, dass sie schreit: „Mamaaa, will aber nicht!“ Schafft es die junge Frau, die Tüte los zu werden? Wird sie weiterflattern? Auf und nieder. Den lieben langen Tag auf der Rolltreppe spuken? Hin und her. Im Strudel von Wind, Bewegung und Menschen auf ihrem Weg zur Arbeit. Ein rastloses Dasein, bis sie am Abend matt auf dem Bahnsteig liegen bleibt? Zertrampelt und zerfetzt.

Am 31. Oktober wird sich die Tüte rächen und mit den ruhelosen Seelen an Halloween herumgeistern. Farblich ist sie bestens vorbereitet. Heute werden sich weitere Müllmonster zu ihr gesellen. So ist das doch immer. Eine Tüte macht den Anfang und am Ende des Tages liegt der ganze Unrat herum. Broken-Windows-Theorie. (Wikipedia: Laut Broken-Windows-Theorie besteht ein direkter Zusammenhang zwischen Verwüstungen und Vernachlässigung von Stadtgebieten und Kriminalität.) Scheiße. DENKSTE! Die junge Frau beugt sich nach vorne.

Berlin bleibt sauber

Sie zupft den lästigen Begleiter ab. Wow, denke ich, dass sich heutzutage überhaupt noch jemand bückt. Sie bekommt die Tüte zu fassen. Im selben Moment hat sie den obersten Punkt der Rolltreppe erreicht. Ein großer Schritt, fester Boden unter den Füßen. Es ist eine fließende Bewegung von Tüte schnappen, Schritt auf den Bahnsteig machen hin zu flatterndes Plastik-Zappel-Zitter-Geschöpf in den, dort gleich unmittelbar am Aufgang der Rolltreppe angebrachten, Papierkorb werfen. Ich bin ernsthaft beeindruckt. Ihre Wertung bitte Frau Offermann. 10. Volle Punktzahl. Berlin bleibt sauber.

Die Tüte hat andere Pläne. Sie wehrt sich. Dreht sich geschickt in den Wind. Wirbelt aus dem Schlund des Papierkorbs empor. Sie steigt auf und beginnt erneut mit ihrem aufgeregten Tanz. Zack. Unglücklich stürzt sie zu Boden. Hochmut kommt vor dem Fall. Es ist aus. Ich bin an der Reihe. Oben angekommen bücke ich mich, fasse die Tüte und drücke sie in die Öffnung des Papierkorbs.

Dunkingschön. Zwölf Jahre Basketball-Training zahlen sich jetzt aus. Innerlich gebe ich mir für den Move 10 Punkte. Die junge Frau hat sich umgedreht, um den Weg der widerspenstigen Tüte zu verfolgen. Sie schmunzelt. Wir sehen uns an und lachen. Na geht doch! Gemeinsam haben wir es geschafft. 8:53 Uhr. Die U-Bahn kommt.

Tütentausenddank für diesen schönen Start.

 

 

 

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