Adam

Zitronenscheibe am Rand eines Wasserglases

Die frühlingshafte Februarsonne brachte es ans Licht. Seit zwei Jahren war Adam nicht mehr da gewesen, dabei hatte er nach sechs Monaten wiederkommen wollen.

Ich mochte ihn, den Mann aus Lodz. In unseren wenigen Begegnungen hatte er mir seine Sicht der Dinge nähergebracht, hatte mit Eifer wortwörtlich über Gott und die Welt referiert und mich überzeugt: Du bist dem Schicksal nicht hilflos ausgeliefert. Du kannst etwas tun. Move your ass. Das ersparte mir nächtelange Lektüre einschlägiger Ratgeber und den Weg zur kostenintensiven Coaching-Stunde, etwas, das in meinem Freundeskreis immer populärer wurde. Bei Adam bekam ich praktische Lebenshilfe nahezu umsonst. Sie war im Preis inbegriffen. Fensterputzen all inklusiv.

Eines Tages, als alle Scheiben unserer Wohnung streifenfrei glänzten, kamen wir auf das Thema Kunst zu sprechen. Adam erzählte, er plane, eine Ausstellung zu organisieren. Ein Freund sei Künstler. Ein ganz fantastischer Künstler. Ein Künstler mit Leib und Seele. Kultur sei unglaublich wichtig, versicherte Adam. Ich stimmte zu. „Ein Spiegel der Gesellschaft“, fuhr er fort. „Nicht so wie diese Politik!“ Pause. „Diese Politik taugt nichts!“ Er lehnte sich auf dem Stuhl weit zurück. „Man müsste eine Partei gründen! Eine richtige Partei!“ Adam geriet in Rage. Ich lauschte seinen wortreichen Ausführungen mit immer stärker durchschlagendem Akzent. Was könnte jetzt noch kommen? Wir saßen in meiner Küche. Die drei K vielleicht? Kinder? Ein weites Feld. Kirche? Womöglich noch die katholische? Bitte nicht.

„Aha!“ rief Adam und holte mich zurück in seine Welt. „Ich betrachte das Problemchen von allen Seiten. Sagen wir mal …“  Er stellte das Glas Wasser, das ich ihm angeboten hatte, in die Mitte des Esstischs. „Sagen wir mal, das ist das Problemchen … Dann gehe ich herum … und herum und schaue von allen Seiten.“ Er beugte seinen Oberkörper hin und her. „So!“

Pause.

„Und dann, dann denke ich!“

Na sowas!

Adam trank einen Schluck, dann setzte er das Glas wieder ab. Es war leicht, sich vorzustellen, dass die transparente Flüssigkeit darin hochprozentiger wäre, als es der tatsächliche Inhalt war. Ebenso leicht war es, sich vorzustellen, wir säßen in einer Kneipe in Warschau in blauen Dunst gehüllt, die Luft zum Schneiden dick. Wir prosteten uns zu und lösten die Probleme der Welt. Naja, oder Berlins. Da hätten wir schon genug zu tun. Nastrovje!

„Und dann finde ich eine Lösung!“

Cool.

„Für jedes Problemchen gibt es eine Lösung!“ Adam trank erneut und stellte das Glas abrupt auf den Tisch. Ich erschrak. „Weißt du …“, er hielt seinen Zeigefinger hoch und schaute mich direkt an. „Weißt du, es gibt immer Meeglichkeiten!“

Danke, Adam!

 

 

 

Foto: (C) pixelio / Claudia Hautumm

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