Heute bin ich unsichtbar

typische Comicschrift Schriftzug YEAH und Sprechblase

Schon mal darüber nachgedacht, was wäre, wenn … zugegeben es war unfreiwillig, aber es geht. Fast. ZAP!

„Huch“, sage ich als der Einkaufwagen eine Armlänge vor meinen Bauch stoppt. Er und die Frau, die ihn schiebt, kommen aus dem nächsten Gang und möchten ganz offensichtlich in den einbiegen, aus dem ich komme. Schnell schmiege ich mich an das Regal neben mir, so gut das eben geht mit der großen Sporttasche, die über meiner rechten Schulter hängt. Die Spitze des Shoppinggefährts zielt genau auf meine Körpermitte. Unsere Blicke treffen sich. Die Frau bewegt sich nicht. Wir wollen beide um diese Kurve und eigentlich habe ich die günstigere Position auf der Innenbahn, nur dass da noch ein Pappaufsteller mit Snacks in meinem Weg steht. Ich bin eingeklemmt. Das interessiert die Frau nicht. Sie schiebt den Wagen in meine Richtung, als wäre ich nicht da.

„Juti“, sage ich und halte mit der einen Hand den Einkaufwagen auf Abstand, mit der anderen mein Körbchen hoch. „Dann gehe ich mal um Sie herum.“ „Ich hatte doch schon eingeschlagen“, antwortet sie entrüstet. Na dann. Ich gehe zur Kasse und bezahle. Nun habe ich auch noch eine volle Einkaufstasche über der linken Schulter. So stehe ich auf dem Bahnsteig der U7. Der Zug fährt ein. Er ist rappelvoll. Ein Typ im Blaumann mit Bierflasche in der Hand schimpft.

Brauchst nicht meckern, denke ich, ist ein großer Umsteigebahnhof. Es dauert. Geduldig warte ich neben der Zugtür mit der Einkaufstasche auf der einen und der Sporttasche auf der anderen Seite. Ich warte, bis die letzten Aussteigewilligen aus der Bahn tropfen, da spüre ich einen Ruck an meiner Sporttasche. Eine Frau mit einem kleinen Jungen an der Hand saust an mir vorbei in den Waggon. Nanu? Ich dachte mit meinen beiden Taschen wäre ich nicht zu übersehen. DENKSTE. Heute scheine ich unsichtbar.

Vielleicht ist das hier so ein Superhelden-Superkräfte-Ding? Vielleicht war etwas mit der Avocado, die ich vorhin aß? Bin ich grün im Gesicht? Nee, aber ich wäre schon gerne mega stark. Ich stapfte den Bahnsteig entlang, entschlossen, der Blick stoisch geradeaus. Bäm. Bäm. Bäm. Hallten meine Schritte. Ich wäre nicht böse. Bäm Bäm. Aber kräftig. Die Menschen prallten an mir ab und flögen im hohen Bogen durch die Luft. Sie landeten etwas unsanft auf dem Asphalt. Natürlich würde keiner verletzt. Klaro. Sie flögen durch die Luft und niemand sähe warum. Denn ich bin ja unsichtbar. Die nächsten drei Stationen bis ich aussteige, denke ich über die Vorteile dieser Eigenschaft nach.

Oben auf der Straße ist es voll. Mir kommt ein junger Mann mit einem üppigen Strauß im Arm entgegen. Die Blütenköpfe sind auf der Seite, auf der ich an ihm vorbeigehen werde. Es tut mir jetzt schon leid. Ich werde langsamer. Ich stehe fast. Das Rascheln des Zellophanpapiers signalisiert mir die Kollision mit dem hübsch verpackten Bouquet. Oh, no! Ich erwarte eine saftige Beschimpfung, doch er reagiert nicht. Da fällt es mir wieder ein: UNSICHTBAR. Das ist genial. Wie praktisch. Ich meine … im selben Moment gibt es erneut einen Ruck an meiner Sporttasche.

Ich könnte mich jetzt über den Rempler aufregen. Der Mann fuhr mit dem Fahrrad an mir vorbei. Er transportiert ein Netz mit einem Dutzend Fußbälle und überholte mich auf Höhe der Baustelle, die den Gehweg empfindlich einengt. Beste Stelle, Freundchen. Ich könnte mich jetzt aufregen. Aber wat willste machen, wenn de unsichtbar bist? Immerhin bin ich dank meiner neuentdeckten Helden-Power nicht umgefallen. Schon cool. Muss man positiv sehen. Unsichtbar sein auch. Vielleicht nenne ich mich in Zukunft Invisible-K. Da dreht sich der Fahrradfahrer um und ruft: „Sorry. Tut mir leid!“ Ach Männo.

Nix mit Superkräften!

 

 

 

 

Illustration: (c) freepik.com

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