Joggen mit Obama

Beine mit pinkfarbenen Kniestrümpfen und Laufschuhen

Sie geht vorweg, er hinter. Gemeinsam laufen sie an diesem Montagmorgen den schmalen Trampelpfad auf der Wiese neben dem Hauptweg entlang. Klick. Klack. Im Gleichschritt, wie so oft.

Im Gleichschritt setzen sie ihre Nordic Walking Stöcke auf … ich sehe die verblasste Fotografie eines Hochzeitspaares Mitte der 70er-Jahre … und wer von den beiden beim Anschneiden der Torte die Hand oben hat. In meinen Gedanken nenne ich sie Heidrun und Hans. Ihre Tochter Susanne lebt in Krefeld. Ich mag es, mir Geschichten auszudenken zu den Unbekannten, die mir begegnen. Lange Zeit war die morgendliche U-Bahnfahrt zur Arbeit mein Betätigungsfeld. Jetzt konzentriert sich meine Fantasie auf die Bewegungssuchenden im Park.

Kaum ist das Rentnerpaar an mir vorbeigezogen, sehe ich die Frau, die regelmäßig die Balustrade am Parkeingang als Ballettstange nutzt. Sie dehnt ihren drahtigen Körper auf beeindruckende Weise … war sie einst Primaballerina? Jedenfalls spinne ich ihre Geschichte in diese Richtung. Vor dem Pas de deux auf der großen Bühne werden meine Gedanken auf eine andere Reise geschickt. Gemütlich spaziert der ältere Herr vor mir auf dem Weg, seine Fußspitzen zeigen nach außen. Ich unterstelle, dass er keine Karriere als Profi-Tänzer hinter sich hat … vielleicht Brummifahrer? Unter seiner abgewetzten Lederjacke schiebt er eine ziemlich dicke Murmel vor sich her. Ich nenne ihn Kurt.

Er trägt ein Basecap. Das wirkt sehr amerikanisch.

Die junge Frau, die ich häufig dabei beobachte, wie sie gemeinsam mit ihrem lebhaften Hund Yogaübungen macht … heißt vielleicht Silvie … und studiert Philosophie. Gedanken. Und dann sehe ich ihn. Meine Güte! Die Größe, die schlaksige Statur. Er trägt ein Basecap beim Joggen. Das wirkt sehr amerikanisch. Mit schnellen Schritten läuft der Mann in seinem schicken Laufdress durch den Park. Ich sehe in sein Gesicht und weiß, dass er es nicht ist. Nicht sein kann. Doch in meinem Kopf gibt es nur eine Assoziation: Barack Obama spurtet auf mich zu. Diese Geschichte scheint realer, als mir lieb ist. Was macht der hier? Okay, das sehe ich ja.

Aber mal angenommen, er wäre es wirklich … säße er möglicherweise in zwei Stunden umgeben von engagierten jungen Menschen auf Holzpaletten … diskutierte … wohnten er und Michelle am Potsdamer Platz? Kaufte er seine Zahnbürste im Drogeriemarkt an der Ecke? Und wo sind die ganzen Secret-Service-Mitarbeiter? Der Typ dadrüben vielleicht? Wäre auch eine schöne Geschichte. Ein wenig Hüftspeck hat er, der vermeintliche ehemalige US-Präsident, aber deswegen ist er ja hier unterwegs. Deswegen rennen wir alle hier herum. Weg mit den Corona-Kilos! In ein paar Tagen werde ich wieder meine Runde drehen: mit Hans, Silvie und jetzt auch Barack. Yes we can!

 

 

 

Foto: (c) pixelio/Martin Jäger

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